Im Pornokino

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Neulich auf der Berlinale – ganz schön versautes Zeug! Eine weibliche Fahrradgang treibt ihr Unwesen und entführt einen jungen Mann, um in der Werkstatt gemeinschaftlich über ihn und einander herzufallen. Im Waschsalon stehen ein hübscher Typ und eine hübsche Frau plötzlich nackt nebeneinander, weil alles, was sie anhatten, in der Maschine gelandet ist. Huch! Und schon wird gebumst!
Oder: eine Frau will sich Zucker bei ihrer heißen, älteren (und schwangeren) Nachbarin leihen und wälzt sich Minuten später mit ihr in den Laken.

Sowas gibt’s nur im Porno, oder? Genau. Und der erobert mehr und mehr die öffentliche Kinoleinwand, und zwar in dem Maße, wie er weibliches Publikum erobert. Damit hat kaum eine Regisseurin abseits der Mainstreamindustrie so viel Erfolg wie die Schwedin Erika Lust, die zum wiederholten Mal mit ihren Filmen bei der Berlinale zu Gast war und ihre neuesten Kurzfilme dieses Jahr gemeinsam mit drei Gastregisseur/innen präsentierte. Entsprungen sind die obigen Szenarien den Fantasien zahlreicher Frauen, die ihre feuchten Träume mit Erika Lust auf deren Website xconfessions.com geteilt haben. Ausgewählte Fantasien verfilmt Lust nach „ethischen Standards“, wie fairer Bezahlung, einvernehmlicher Absprachen, medizinisch sicheren Arbeitsbedingungen, aber auch Diversität: Porno für den bewussten Konsum.

Erika Lust ist damit Teil einer alternativen Pornocommunity, die in Deutschland schon 2006 ein eigenes Filmfestival hervorgebracht hat: das Berliner Pornfilmfestival, das Filmen aus vorwiegend weiblich-feministischer oder aber queerer Sichtweise gewidmet ist. Auch auf der Berlinale ist der riesige Saal voll mit Frauen und ein paar Männern, die gemeinsam Pornos schauen – das ist erstmal ungewohnt. Die Reaktionen reichen von gebannter Aufmerksamkeit über unbequemes Hin- und Herwinden auf dem Kinosessel hin zu begeisterten Zwischenrufen. Klar, gemeinschaftlich anderen Leuten beim Sex zuzusehen, ist befremdlich, anturnend, intim, lustig oder alles zusammen.

Doch einmal mehr stellt sich das Privateste als überaus politisch heraus. Pornografie ist schließlich allgegenwärtig, aber positive Körperbilder und echte weibliche Lust sucht man in der Regel vergebens. Das ist bei den „Lust“-Filmen anders. Den herkömmlichen Pornos, die auf viele Frauen sexistisch, objektifizierend und abturnend oder gar erniedrigend wirken, setzt Erika Lust Bilder entgegen, die Körpervielfalt, weibliche Lust und auch mal originelle Stories sexy in Szene setzen.

Die Filme haben mindestens genauso lustige Namen wie normale Pornos, z.B. DIE REITSTUNDE, THE MILF NEXT DOOR oder FUCK, KILL, MARRY und sind natürlich auch genauso explizit. Aber die Erotik erschöpft sich nicht in aufgepimpten Körperteilen im Close-Up, sondern setzt auf fantasievolle Settings, Atmosphäre, und den Anspruch, echte Leidenschaft auf Film zu bannen. Bei den beiden Nachbarinnen aus THE MILF NEXT DOOR raschelt es kurz im Babyfon – ein witziger Reality-Check, der im Saal für herzliches Gelächter sorgt, bevor die Sexszene mit mehreren ziemlich heißen Höhepunkten zu Ende geht.

Dass Sex und Humor sich prächtig verstehen, war am Freitag auch im DFF in Frankfurt zu erleben. Da gab es beim offenen Filmclub Treppe 41 „My favourite queer porn“ zu sehen, mit einer „Agrarreform der Sexualität (und Zigarette zwischendurch), cruisenden Dykes, morphender Oktopussy, Putzwedel und analoger Sehnsucht.“ Wer Lust bekommen hat auf sexuelle Filmexperimente abseits des Mainstream, kann direkt nächsten Monat in die Londoner lesbische Subkultur der 1990er abtauchen: Treppe 41 zeigt am Freitag, 1. März, die „16 mm intimate exposure – Annette Kennerley Schau“, in der es um Sex, aber auch um sehr viel mehr geht. Nach Frankreich entführt zwei Wochen später, am Donnerstag, 14. März, ein Highlight des französischen Kinos und der einzige eigenständige Spielfilm der Filmemacherin Catherine Binet: LES JEUX DE LA COMTESSE DOLINGEN DE GRATZ (Die Spiele der Gräfin Dolingen von Gratz, FR 1981), stellt in drei rätselhaften Geschichten ebenfalls die erotischen Fantasien von Frauen in den Mittelpunkt. Dazu liest 1960er-Jahre-Schauspielidol und Schriftstellerin Marina Vlady aus ihrem Buch über ihre gute Freundin Binet.

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