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Ob und wie viel Kaffee ich an diesem Tag getrunken habe, soll ich angeben. Gar keinen, denn kurz zuvor habe ich meinen Koffeinkonsum eingestellt und der Entzug macht sich bereits deutlich bemerkbar … es ist 17 Uhr. Während ich weitere Fragen zu meiner aktuellen Befindlichkeit beantworte, kämpfen vor dem Kinosaal des DFF bereits einige Menschen mit ihrer Verkabelung. So wird es mir auch gleich ergehen, denn wie die Cyborg-Armee vor mir bin ich Teilnehmerin der Studie „The Brain on Screen“, durchgeführt vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik. Ziel ist es, herauszufinden, wie unser Hirn reagiert, wenn wir Filme schauen. Währenddessen trage ich Elektroden zur Vermessung der Hirnströme, des Atems und der Bewegung des Oberkörpers und der Augen. Mit dem Kabelsalat suche ich meinen Platz im Kinosaal und bin ziemlich froh, nicht zu den Auserwählten zu gehören, deren Mimik während des Films per Infrarot-Kamera aufgezeichnet wird.
Die Reihe startet mit dem ersten von vier Filmen: ANGST ESSEN SEELE AUF (BRD 1974, R: R. W. Fassbinder). Ganz brav habe ich mich gemäß Vorbereitungsmail nicht über die mir unbekannten Filme informiert. Die Konzentrationsübungen zur Kalibrierung der Geräte fallen mir aufgrund des Koffeinentzugs schwer. Fassbinders Film schafft es dennoch, meine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, denn die Themen Zuwanderung und Alltagsrassismus sind noch immer aktuell. Manche Szenen machen mich wütend, ich schnaube verächtlich und frage mich, wie empörte Hirnströme aussehen. Sieht die Projektleitung, dass ich verärgert bin? Soll sie ruhig, in der Hinsicht bin ich gerne offen. Irgendwann schließe ich für einen Moment die Augen. Verrät mich mein Atem? Ich wache auf und fühle mich ertappt als Praktikantin des DFF, des Instituts, das zugleich das Fassbinder-Archiv beherbergt, kurz eingenickt zu sein. Nach dem abrupten Filmende fülle ich einen weiteren Fragebogen aus und bin erschrocken, wie viele Lücken meine Erinnerung aufweist.
In der Folgewoche stimmt mich vor dem Kinosaal Cat Stevens ein, der den Soundtrack zu HAROLD AND MAUDE (US 1971, R: Hal Asby) liefert. Ich kenne den Film bereits, kann mich aber nur noch an die Liebesbeziehung zwischen dem jungen Harold und der betagten Maude erinnern, was mich als Teenie ein wenig verstört hat. Umso mehr hat es mich gefreut, dass der Film nun doch genau mein Ding ist. Meine Lieblingsmomente sind Harolds inszenierte Suizide, um seine Mutter zu verärgern, oder Maudes ziviler Ungehorsam gegenüber der Polizei, um einem Baum aus der Stadt ein Leben im Wald zu ermöglichen. Ich vergesse fast, wozu ich hier bin, bis Maude sich an ihrem Geburtstag das Leben nimmt. Ein Kloß im Hals macht es mir schwer, meine Tränen zurückzuhalten, da ich Harolds Schmerz gut nachempfinden kann. Es ist schon merkwürdig zu wissen, dass ich in diesem Moment dieses intime Gefühl von Trauer als Hirnstrom teile und noch dazu unter Fremden sitze. Ich reiße mich zusammen, trockne ein paar Tränchen und kann dank der finalen Szene den Saal doch noch mit einem Lächeln verlassen.
Die Hälfte ist geschafft und es folgt AFTER HOURS (US 1985, R: Martin Scorsese). Diesmal ist für dokumentarische Zwecke ein Kamerateam im Haus, aber die zusätzliche Beobachtung macht mir nichts mehr aus. Entmannung soll ein wiederkehrendes Motiv im Film sein und Paul trifft auf seiner nächtlichen Odyssee im hippen SoHo auf nicht ganz so nette Frauen. Während ich den amüsanten Verstrickungen folge, beobachte ich die Darsteller/innen im Hintergrund, denn Scorsese selbst soll zu sehen sein. Ich entdecke ihn. Wo, verrate ich nicht.
Abschließend erwartet mich am Dienstag noch LOLA RENNT (DE 1998, R: Tom Tykwer). Den Film habe ich bereits zwei Mal gesehen, jedoch nie auf der Kinoleinwand und freue mich besonders auf den Soundtrack vom Regisseur höchstpersönlich. Wer für LOLA RENNT keines der wenigen, begehrten Tickets für Nicht-Studienteilnehmer/innen ergattert, kann sich schon auf die Filminstallation 70 Jahre in 70 Minuten freuen, die ab Dienstag im 3. OG unseres Hauses zu sehen ist und auch einen Ausschnitt aus Tykwers Film enthält.
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