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Die Ausstellung im Deutschen Filmmuseum begreift Film noir als eigenständigen und filmhistorisch bedeutsamen Stil. Die Filme stehen im Mittelpunkt der Schau: Großflächige Projektionen bewegter Noir-Bilder werden erstmals in Europa zum zentralen Exponat einer Sonderausstellung und machen die Ästhetik sowie die filmische Sprache des Film noir direkt erfahrbar. Die Besucher/innen können sich frei zwischen den Projektionen bewegen und erschließen sich über diese die visuellen und narrativen Merkmale des Film noir: Durch die gebündelte Präsentation von Ausschnitten mit ähnlichen Stilmerkmalen wird der Blick der Besucherinnen und Besucher auf ebendiese gelenkt und der spezifische Umgang des Film noir mit dem jeweiligen Stilmittel direkt vor Augen geführt. Zentrale Themen sind verwickelte Handlungsstränge mit Rückblenden und Off-Kommentar, typische Figuren(-konstellationen), harte Licht- und Schattenkontraste sowie extreme Kamerapositionen, außergewöhnliche Bildaufbauten und charakteristische Schauplätze. Die historische Positionierung des Stil des Film noir verdeutlichen Monitore, auf denen Einflüsse und Wirkung dieses Stils zu sehen sind.
Ergänzend zu den Filmkompilationen präsentiert die Ausstellung ausgewählte Werbematerialien, beispielsweise Filmplakate, und Produktionsunterlagen, darunter originale Drehbücher. Die Exponate zeigen, wie die stilistischen Mittel von den beteiligten Filmemachern gezielt eingesetzt wurden, und dass die expressiven Filmbilder ihrerseits als Inspiration für die Bewerbung der Filme dienten.
Die Gestaltung der Ausstellung greift typische Schauplätze des Film noir auf und ermöglicht eine atmosphärischen Reise in die bisweilen düsteren Bildwelten der 1940er- und 1950er-Jahre. Angelegt als Stilanalyse in bewegten Bildern zeigt FILM NOIR! gleichzeitig die Grundlagen filmischen Gestaltens auf.
Sechs Filmkompilationen, von denen jede einem Gestaltungsmittel zugeordnet ist, zeigen anhand markanter Beispielausschnitte gebündelt zentrale Gestaltungsmittel des Film noir:
[reveal title=“Erzählform“ ]
Der Handlungsverlauf eines Film noir ist oft schwer nachzuvollziehen, die Geschichte verliert sich in Sackgassen und scheinbaren Nebenschauplätzen. Die Logik der Handlung ordnet sich atmosphärisch starken Bildern unter. Zu den häufigsten erzählerischen Mitteln gehören Rückblenden und der Voice-over-Kommentar eines offensichtlich beteiligten Erzählers. Dieser stellt die Handlung rückblickend oder in zahllosen Sprüngen zwischen Gegenwart und Vergangenheit dar.
Der Fokus der Kompilation liegt auf den erzählerischen Mitteln der Rückblende und des Voice-Over-Kommentars. Die Subjektivität der Erzählung, die den Film noir als Ganzes maßgeblich prägt, wird hier besonders deutlich.
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Der Erzähler und Detektiv Phillip Marlowe (Robert Montgomery) tritt selbst ins Bild und leitet in die Geschichte ein, die anschließend im Rückblick filmisch erzählt wird. Er kommt erst wieder am Ende zu Wort, um die Handlung abzuschließen. THE LADY IN THE LAKE (Die Dame im See, Robert Montgomery, USA 1947)
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Walter Neff (Fred MacMurray) beichtet seine Verwicklungen in einen Versicherungsbetrug dem Tonband, das er seinem Vorgesetzten zukommen lassen will. Die Aufnahme, die in einer Nacht stattfindet, rollt die Ereignisse vor den Zuschauerinnen und Zuschauern auf. DOUBLE INDEMNITY (Frau ohne Gewissen, Billy Wilder, USA 1944)
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[reveal title=“Lichtsetzung“ ]
Harte Kontraste von gleißendem Licht und tiefer Finsternis sowie bewusst im Dunkeln gehaltene Räume und Akteure erzeugen im Film noir große visuelle Spannung.
Beleuchtet wird oft nur teilweise, von der Seite oder von unten, die Figuren werfen lange Schlagschatten, die bedrohlich wirken. Im Gegenlicht bilden sich Silhouetten. Zudem spielen viele Szenen nachts und werden nur punktuell, oft durch im Bild sichtbare Lichtquellen, erhellt: Lampen oder Scheinwerfer stellen einen Teil der Handlung dar, bringen Verbrechen ans Licht und bedrohen die Figuren. Demgegenüber finden diese in Schattenbereichen Zuflucht und Sicherheit.
Düstere Innenräume im Wechselspiel von Licht und Schatten erzeugen eine bedrohliche, unheilschwangere Atmosphäre.
Plakate zu einzelnen Filmen unterstreichen, wie stark Licht und Schatten als Merkmale des Film noir wahrgenommen und entsprechend werbewirksam genutzt wurden.
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Seitenlicht erzeugt Umrisskanten: STRANGER (Der Fremde, Orson Welles, USA 1946) und PHANTOM LADY (Zeuge gesucht, Robert Siodmak, USA 1944)
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Figuren werden zu Silhouetten: GILDA (Charles Vidor, USA 1946) und THE BIG COMBO (Geheimring 99, Joseph H. Lewis, USA 1955)
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Licht wird an- und ausgeknipst: MURDER, MY SWEET (Leb’ Wohl, Liebling, Edward Dmytryk, Usa 1944) und THE BIG SLEEP (Tote schlafen fest, Howard Hawks, USA 1946)
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Filmplakat THE THIRD MAN (Der dritte Mann, Carol Reed, GB 1949), Deutsches Erstaufführungsplakat, 1950. Grafik: Stengel, Deutsches Filminstitut – DIF e.V./Plakatarchiv
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[reveal title=“Kameraführung“ ]
Ungewohnte Perspektiven kennzeichnen die Kameraarbeit des Film noir: Häufig finden sich extreme Auf- und Untersichten, die Kamera filmt vom Boden oder von der Decke aus und wird bisweilen sogar gekippt. Die Bilder bieten selten festen Halt und zeigen, wie sehr die Welt aus dem Lot geraten ist. Im Extremfall wird das Geschehen aus der Perspektive einzelner Personen gezeigt, die Handlung sozusagen mit deren Augen präsentiert. All diese Merkmale fördern den subjektiven Blick und den Mangel an distanzierter Übersicht, mit dem der Film noir seine Geschichten erzählt.
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Aufsichten: DARK PASSAGE (Das unbekannte Gesicht, Delmer Daves, USA 1947), THE STRANGER (Der Fremde, Orson Welles, USA 1946)
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Gekippte Kamera: PHANTOM LADY (Zeuge gesucht, Robert Siodmak, USA 1944), KISS ME DEADLY (Rattennest, Robert Aldrich, USA 1955)
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Direkt subjektive Kamera: DARK PASSAGE (Das unbekannte Gesicht, Delmer Daves, USA 1947), THE LADY IN THE LAKE (Die Dame im See, Robert Montgomery, USA 1947)
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Orson Welles als THE THIRD MAN (Der dritte Mann, Carol Reed, UK 1949): die gekippte Kamera zeigt deutlich, dass die Welt dieses Films aus den Angeln gehoben ist. Deutsches Kinoaushangfoto, Bildquelle: Deutsches Filminstitut DIF e.V. / Bildarchiv
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[reveal title=“Bildaufbau“ ]
Die Bilder des Film noir werden von schrägen und vertikalen Linien – Geländern, Gittern, Jalousien, Schattenrastern – geradezu durchschnitten. Räume und Figuren wirken dadurch instabil und bedrückend. Türen oder Fenster erzeugen innere Rahmungen und schließen Figuren und Handlungen optisch und symbolisch ein, Spiegel erweitern den Raum scheinbar, deuten jedoch vor allem die Doppelbödigkeit von Figuren oder die Ambivalenz von Ereignissen an. Die hermetische Geschlossenheit und die Konstruiertheit der Welt des Film noir findet so ihren visuellen Ausdruck.
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Gitter (horizontal): THE MALTESE FALCON (Der Malteser Falke, John Huston, USA 1941), MURDER, MY SWEET (Leb’ Wohl, Liebling, Edward Dmytryk, USA 1944)
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[reveal title=“Figuren“ ]
Die Figuren des Film noir werden im Gegensatz zum klassischen Hollywoodkino nicht als strahlende Helden und glückliche Paare gezeigt: desillusionierte Männer – zumeist in Hut und Trenchcoat – und verführerische schöne Frauen (femmes fatales) verfolgen mit ihren Taten eigene Interessen und scheuen nicht vor emotionaler oder physischer Gewalt zurück. Die Figuren haben ihr Schicksal nicht mehr in der Hand; als soziale Außenseiter oder in selbst verschuldeter Zwangslage wurden sie zynisch.
Filmausschnitte zeigen gebrochene Privatdetektive, die oft am Rand der Legalität ermitteln, gerissene Frauen und Beziehungen zwischen Anziehung und Abhängigkeit. Gemeinsam ist den Figuren ihr düsteres Schicksal, das oft schon von Beginn an besiegelt scheint.
Werbefotografien verdeutlichen, wie stark die Wahrnehmung der Charaktere des Film noir mittels bewusster Typisierungen gelenkt wurde.
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Verführung und Griff zur Waffe: DOUBLE INDEMNITY (Frau ohne Gewissen, Billy Wilder, USA 1944), MILDRED PIERCE (Solange ein Herz schlägt, Michael Curtiz, USA 1945)
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Gewalt & Romantik: THE BIG HEAT (Heißes Eisen, Fritz Lang, USA 1953), THE BIG SLEEP (Tote schlafen fest, Howard Hawks, USA 1946)
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[reveal title=“Schauplätze“ ]
Die nächtliche Großstadt spielt im Film noir eine tragende Rolle, das zeigen bereits zahlreiche Filmtitel: CITY THAT NEVER SLEEPS (Chicago – 12 Uhr Mitternacht, USA 1953), THE NAKED CITY (Die nackte Stadt, USA 1948), NIGHT AND THE CITY (Die Ratte von Soho, USA 1950). Mehr als nur Kulisse, steht die Stadt für die innere Verfassung der Figuren. Häufig regnet es. Öffentliche Orte und Veranstaltungen – Bars, Boxarenen und Casinos – sind Schauplätze für verhängnisvolle Zusammentreffen, für existenzielle Krisen und das Spiel ums Ganze. Das eigentlich private Büro des Ermittlers wird durch unangekündigte Heimsuchungen von Klientinnen und Klienten, Gangstern und misstrauischen Polizisten nahezu öffentlich. Im Film noir gibt es keine sicheren Rückzugsorte.
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Büros als Orte der Ermittlung und des Verbrechens: MILDRED PIERCE (Solange ein Herz schlägt, Michael Curtiz, USA 1945), DOUBLE INDEMNITY (Frau ohne Gewissen, Billy Wilder, USA 1944)
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Kasino & Bar: GILDA (Charles Vidor, USA 1946), THE BLUE DAHLIA (Die blaue Dahlie, George Marshall, USA 1946)
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[reveal title=“Einflüsse / Wirkung“ ]
Ein siebter Themenbereich von FILM NOIR! befasst sich mit den Einflüssen auf den und den Wirkungsweisen des Film noir. Hier veranschaulichen Filmausschnitte auf Monitoren, aus welchen Quellen sich der Film noir speiste und wie breit seine Wirkungen auf die Filmproduktion weltweit seither und bis heute sind. Insbesondere das europäische Kino der 1920er- und 1930er-Jahre, darunter prominent die expressionistisch inspirierten deutschen Filme der Weimarer Zeit wie etwa DAS CABINET DES DR. CALIGARI (Robert Wiene, D 1920), Vertreter des französischen poetischen Realismus wie Marcel Carnés LE QUAI DES BRUMES, Hitchcocks frühe Kriminalfilme sowie US-amerikanische Gangsterfilme gelten als wichtige Inspirationen des Film noir. Sie werden nach Herkunftsländern geordnet vorgestellt.
Filme, die seit den 1960er-Jahren bis heute Anleihen am Stil des Film noir nahmen, werden auf weiteren Monitoren präsentiert. Geordnet nach Jahrzehnten, können hier die Noir-Spuren bei I HIRED A CONTRACT KILLER (Vertrag mit meinem Killer, Aki Kaurismäki, FIN/GB/D/S/F 1990), TAXI DRIVER (Martin Scorsese, USA 1976) und SHUTTER ISLAND (Martin Scorsese, USA 2010) nach verfolgt werden.
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