Was tut sich – im deutschen Film?

Trauer um Peter Sehr

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Das Deutsche Filmmuseum trauert um den Regisseur Peter Sehr. Mit Bestürzung haben wir vom Tod des bekannten, in Hessen geborenen Sehr (KASPAR HAUSER, OBSESSION) erfahren, der vor wenigen Tagen nach schwerer Krankheit verstorben ist. Peter Sehr wollte unser Museum ursprünglich am vergangenen Sonntagabend, 12. Mai mit seiner Ehefrau und Co-Regisseurin Marie Noëlle besuchen, um mit Rudolf Worschech von epd film über seinen jüngsten Film LUDWIG II. (D/F/AT 2012) zu sprechen. Die Vorführung von LUDWIG II. wurde schließlich in Form einer Ehrenveranstaltung für Peter Sehr und sein vielfältiges Wirken abgehalten.

Lesen Sie an dieser Stelle den Nachruf von Rudolf Worschech (epd film,  6/2013):

Peter Sehr, Regisseur, Produzent, Autor, 10.6.1951 – 8.5.2013

Nein, so richtig dazugehört hat er eigentlich nie zum neudeutschen Filmbusiness. Gerade mal sechs Kinofilme in mehr als zwei Jahrzehnten – da gab es umtriebigere Filmemacher in den letzten Jahren. Aber oftmals entstehen an den Rändern des Filmgewerbes die interessanteren Werke. „P´Artisan“ hat Sehr die Produktionsgesellschaft genannt, die er Ende der achtziger Jahre mit seiner Partnerin Marie Noelle gründete, und das wirkt ja auch wie ein Bekenntnis zur Arbeit unter dem allgemeinen Radar.

Sehr war auch auf eine Weise international, die so gar nicht recht zum teutonischen Einerlei passen wollte. Schon seinen ersten Film, Das serbische Mädchen (1992), drehte er  mit der wunderbaren serbischen Schauspielerin Mirjana Jokovic, die später mit Kusturica („Underground“) bekannt wurde und mit „Das Pulverfass“ in einer der eindrücklichsten Parabeln auf die Situation in Ex-Jugoslawien mitspielte. Er hat einen Film, Obsession (1997), zwischen Berlin und Frankreich pendeln lassen und ihn mit einem jungen Daniel Craig besetzt, der damals noch in seinen Kinderschuhen beim Fernsehen steckte. Seinen nächsten Film Love The Hard Way (2001), vielleicht sein Meisterwerk, drehte er komplett in New York mit dem Schauspieler Adrien Brody, den damals auch kaum jemand kannte. Und sein vorletzter Film, Die Frau des Anarchisten (2008), ist schon von seinem Thema her ein Bekenntnis zum Unzeitgemäßen: eine Liebesgeschichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg, inspiriert von der Familiengeschichte von Marie Noelle und in der Hauptsache mit spanischsprachigen Schauspielern realisiert.

Vielleicht ist ihm ja der  Blick über den Tellerrand durch seine Lebensgeschichte in die Wiege gelegt. Sehr war gewissermaßen ein Quereinsteiger, er hatte in Zürich und in Oxford Biophysik studiert und dort erste Kurzfilme mit Marie Noelle gedreht. Seit 1982 arbeitete er als Regieassistent, u.a für Dominik Graf und Bernhard Wicki. Man muss keine Filmschule besucht haben, um ein großer Regisseur zu werden.

Doch er hat sich auch an deutsche Themen herangewagt: am Kaspar-Hauser-Stoff und an der Biografie des Bayernkönigs Ludwig II – zwei mutige Projekte, weil er sie ja schon vor dem Hintergrund anerkannter Meisterwerke drehte. Und ihm gelang es in beiden Fällen, den Stoff neu aufzuzäumen oder Schwerpunkte anders zu setzen. Anders als Werner Herzog in Jeder für sich und Gott gegen alle seziert Sehr in seinem Kaspar Hauser (1993) die Intrigen und Ränkespiele innerhalb der badischen Fürstenfamilie wie der europäischen Politik – und ihre fatalen Wirkungen auf das Leben eines Einzelnen, des Kronprinzen, der jahrelang versteckt gehalten und 1828 ausgesetzt wird. Sehr hat in allen seinen Filmen Sympathie für die Ausgegrenzten, aber nur Mitleidheischen war ihm immer zuwenig. In Kaspar Hauser zeigt er die absolutistische Gesellschaft an einem Endpunkt und setzt wenig Hoffnung auf die neue, bürgerliche Klasse, die sich durch ihre Muffigkeit selbst diskreditiert. So wie er in Kaspar Hauser den neuesten Stand der Forschung referierte, so vertiefte er sich in Ludwig II (2012) in das Studium der Akten um den „Märchenkönig“. Vielleicht hat ihm das den notwendigen Abstand gegeben zu den anderen, schwergewichtigen Verfilmungen von Käutner, Visconti oder Syberberg. Sehr hat seinem Opus Magnum, dessen Titelrolle der rumänische Schauspieler Sabin Tambrea verkörperte, das Euphorische Ludwigs betont, seinen bodenständigen Pazifismus, aber auch seine realitätsblinde Naivität.

Sehr hat alle seine Filme mit seiner Partnerin Marie Noelle realisiert. Und gerade in seinen „internationalen“ Filmen spielt das Unbedingte der Liebe eine große Rolle, am schönsten in seinem Love The Hard way. Da geht es um den Kleinkriminellen Jack, der ein Jackett trägt wie Marlon Brando in Der Mann mit der Schlangenhaut und eines Tages die eigentlich ziemlich brave Biologiestudentin Claire kennenlernt. Weil er sie liebt, will er sie vor sich schützen, und weil sie ihn liebt, will sie Teil seiner Machenschaften werden. Ein Ineinander der Gefühle, das unweigerlich in die Katastrophe führen wird. Die Handlung klingt nach Kolportage, doch Sehr hat den Film, der zu einer regelrechten Höllenfahrt wird, ganz unterkühlt in Szene gesetzt.

Als Mensch war Sehr alles andere als unterkühlt. Leidenschaftlich konnte er von seinen Funden in den bayerischen Archiven erzählen, die ein ganz neues Licht auf Ludwig II werfen, etwa auf sein grundreligiöses Weltverständnis. Zweimal haben wir ihn und Marie Noelle mit diesem Film in unsere Reihe „Was tut sich – im deutschen Film?“ ins Kino des Deutschen Filmmuseums Frankfurt eingeladen, schon beim ersten Termin war er erkrankt. Vier Tage vor dem zweiten Gespräch ist er dann überraschend gestorben, an einem Gehirntumor am 8. Mai.

Quelle: epd Film 6/13

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